Berichte Betroffener

Marvin R., Selbständiger Unternehmer

Dr. Bernhard Raffel, Arzt

Robert M., Lehrer

Annette Gaetcke, Erzieherin

Frank P., Selbständiger Unternehmer

Ein weiterer Betroffener in der Presse

Dirk Gauberich

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Marvin R., Selbständiger Unternehmer

(Name geändert) Der Name ist der Redaktion bekannt.

Der Name ist dem Orden der Herz-Jesu-Missionare und dem Bistum Speyer bekannt. Eine eidesstattliche Versicherung kann vorgelegt werden.

Nach nunmehr 12 – monatiger intensiver Beschäftigung mit meiner Vergangenheit
habe auch ich mich entschlossen, die Dinge öffentlich zu machen. Nach einigem
Nachdenken habe ich mich dazu entschieden, den Brief, den ich Ende März 2010 an
den “neutralen Ermittler” des Ordens, Herrn Feltes (später auch an den
Ombudsmann des Bistums Speyer, Herrn RA Weidhaas), geschickt habe, nahezu
unverändert zu veröffentlichen. Unter anderem möchte ich damit dokumentieren,
dass es von unserer Seite von Anfang an zahlreiche konstruktive Vorschläge
direkt an den Orden gab, auf die aber niemals eingegangen wurde. Auch den in
Teilen sehr emotionalen Tonfall meines damaligen Briefes möchte ich bewusst so
stehen lassen. Dies steht für das vergangene Jahr, in welchem ich mitunter sehr
verzweifelt und wütend mit dem “Verhalten” des Ordens leben musste, weil man mir
erneut keine andere Wahl gelassen hat.

Man hat es nicht einmal für nötig befunden, auf meinen Brief zu antworten. Auch
ein von mir direkt beim Provinzial gestellter Antrag auf Therapiekostenerstattung
blieb ohne jede Rückmeldung.

Ich bin von diesen Männern zutiefst enttäuscht und immer noch erschüttert über
diese unglaubliche Kaltschnäuzigkeit, mit der nach wie vor versucht wird, diese
schlimmen Geschehnisse eiskalt über die Zeit zu bringen. Ich werde vor allem
aufgrund des Verhaltens dieser Männer im letzten Jahr nicht mehr dazu fähig
sein, deren Bitte um Verzeihung noch anzunehmen – der Zeitpunkt, an dem dies
noch möglich gewesen wäre, ist für mich längst verstrichen.

Sehr geehrter Herr Feltes,

bezugnehmend auf unser Gespräch vom 8. März 2010 hier eine Zusammenfassung einiger Erlebnisse während meiner Zeit im Internat des Johanneums insbesondere von 1980 – 1982.

Ich war von 1979 – 1983 Schüler am Johanneum Homburg, habe die Klassen 6 – 10 besucht und war von 1979 – 1982 Internatsschüler. Im ersten Jahr war ich in der Unterstufengruppe von Herrn Pater K., danach in der Mittelstufengruppe bei Herrn Pater W. untergebracht. In der Hierarchie der Gruppe stand ich weit unten und war psychisch verunsichert. Wie in vielen anderen Fällen standen auch hinter meinem Umzug in das Internat Probleme im Elternhaus. Ich hätte also dringend eine verlässliche Bezugsperson gebraucht. Was ich bekam, können Sie weiter unten nachlesen.

In der Zeit von 1980-1982 kam es seitens Pater W. zu Übergriffen, die sich wie folgt gestalteten: Er kam in den Schlafraum (6 Betten) und begann, mich zu küssen und mich bis in den Intimbereich hinein zu streicheln. Dies fand wiederholt über einen längeren Zeitraum (mindestens 1 Jahr, eher länger) statt. Ich kann mich derzeit nicht daran erinnern, ob er mich zu sexuellen Handlungen an ihm gezwungen hat, schließe dies aber nicht völlig aus. Ebenso kann ich derzeit nicht sagen, ob er so weit gegangen ist, mich sexuell zu befriedigen.

Es liegt auf der Hand, dass ich hier aus einer extremen Hilflosigkeit heraus eine enorme „Verdrängungsleistung“ erbringen musste. Ich war diesen Situationen ausgeliefert und konnte mich aus extremer Scham darüber auch niemandem anvertrauen. Ich war in dieser Zeit regelmäßig Bettnässer und hatte immer wieder schlimme Träume. In einem immer wiederkehrenden Traum stand ich als einziger nackt im Waschraum. Ich habe diese Träume teilweise als real erlebt, was mich sehr gequält hat!

Ich wurde von Pater W. – jeweils nach seinen Bedürfnissen – zwischen „Zuneigung“ und „Ablehnung“ brutal hin- und hergeworfen. Erst heute begreife ich, was dies eigentlich bedeutet hat. Ich empfand damals so etwas wie Zuneigung, was ein Trugschluss war, denn es war lediglich seine sexuelle Befriedigung auf Kosten meiner psychischen Gesundheit.

Ich erinnere mich an einen ebenfalls betroffenen Schüler, der (bzw. dessen Eltern) sehr offensiv mit der Sache umgegangen ist, so dass ich davon ausgehen muss, dass der Internatsleitung die Dinge bereits im genannten Zeitraum bekannt gewesen sein mussten. Pater W. wurde erst 1986 endgültig versetzt! Ich gehe davon aus, dass die Anzahl der betroffenen Schüler (schließlich gab es noch andere Täter) hoch ist, der Missbrauch ging über mehrere Jahre „seinen Gang“ und war bereits in meiner Zeit offen im Gespräch!

Ich bin mir erst durch die Mediendiskussion über den Missbrauchsskandal überhaupt bewusst geworden, sexuell missbraucht worden zu sein. Ich habe diese Dinge in Bezug auf meine Person bis auf ein paar Bilder komplett abgespalten, es gibt ein „schwarzes Loch“ in meinem Leben, welches ich nun zwingend aufarbeiten muss. An Pater W.´s Namen konnte ich mich absolut nicht mehr erinnern, bis ich durch Internetrecherche auf diesen gestoßen bin. Mit den Namen der anderen Patres hatte ich diesbezüglich keine Probleme.

Es ist klar, dass hier eine Traumatisierung vorliegt, die mein Selbstschutzsystem umfassend verdrängen musste, um mich danach einigermaßen funktionieren zu lassen. Die Folgen dieses Traumas treten bei der Betrachtung meines bisherigen Lebens langsam zu Tage. Ich konnte mich in Teilen nicht normal entwickeln, hatte einen Teil meiner Persönlichkeit abgespalten, das zumindest kann ich mir jetzt erklären.

Mit 24 Jahren habe ich endlich eine erste Psychotherapie gemacht (Dauer ca. 2 Jahre), die mich zweifelsfrei in Vielem weiterbrachte. Davor hatte ich Selbstmordgedanken, absolut kein Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten und war nahezu konstant depressiv. Wenn die Übergriffe schlimmer ausgefallen wären, könnte es sein, dass ich mich danach irgendwann umgebracht hätte, es hat auch so zeitweise nicht allzu viel gefehlt.

Durch die Therapie konnte ich meine Elternbeziehung „befrieden“ und endlich meine berufliche Laufbahn starten (mit 27 statt normal vielleicht mit 18!), welche bis auf regelmäßige und schwere Probleme mit Vorgesetzten (ich konnte keine Vorgesetzten mehr akzeptieren!) bislang sehr erfolgreich verlaufen ist. Ich habe heute meinen eigenen Betrieb.

In der Ausgestaltung meines Privatlebens habe ich jedoch große Schwierigkeiten, auch, weil es diesen abgespaltenen Punkt gibt, der bis heute gänzlich unbearbeitet ist. Zwar kann ich mittlerweile behaupten, über ein gewisses Maß an Selbstvertrauen zu verfügen, meine Kontakt- und Beziehungsfähigkeit jedoch bleiben stark eingeschränkt.

An Manchem bin ich aus nun naheliegenden Gründen bis heute gescheitert.

Mit 35 Jahren wurde ich Vater. Die Beziehung zur Mutter meiner Tochter ging schnell in die Brüche, auch, weil ich hier einfach Defizite habe. Ich konnte dahingehende Einwände meiner Partnerinnen bis heute nur unvollkommen nachvollziehen. Vor dem Hintergrund dieser neuen, sehr bitteren Erkenntnis verstehe ich nun diese Problematik viel besser und auch, dass ich aufgrund dieses „schwarzen Loches“ nicht in der Lage war, ein vollwertiger Partner zu sein. Dies ist sehr, sehr bitter, aber immerhin kann ich mir das jetzt eingestehen.

Zu meiner Tochter habe ich glücklicherweise ein gesundes, sehr liebevolles Verhältnis und hoffe sehr, dass ich ihr nichts von alledem unbewusst „mitgegeben“ habe. Genau das gilt es für die Zukunft zu verhindern.

Mit 39 heiratete ich eine andere Frau. Auch diese Beziehung scheiterte. Drei Jahre davon waren verschwendete Lebenszeit. Hätte ich mein Trauma früher aufarbeiten können, würde ich heute sicherlich völlig anders im Leben stehen und hätte sowohl bei der Partnerinnenwahl als auch in der Beziehungsausgestaltung besser und für alle Seiten befriedigender handeln können.

Seit 2009 bin ich erneut in einer Therapie. Ich war kurz davor, diese abzubrechen, weil wir an einem toten Punkt waren, an dem es nicht mehr weiterging. Nun beginnt auch hier seit meiner Erkenntnis des sexuellen Missbrauchs alles von vorne. Ich spürte zwar erneut, dass etwas mit mir „nicht stimmt“, konnte dies aber absolut nicht einordnen. Ich hatte mich bereits darauf eingestellt, mich innerlich aufzugeben und mich auf ein Leben mit deutlich eingeschränkten Kontakten und ohne Partner einzustellen.

Danke, Pater W. (und die anderen), für Ihr egoistisches, zerstörerisches Treiben, welches vielen Betroffenen heute noch erheblich zu schaffen macht! Und danke, Pater O., dass Sie so entschlossen gehandelt haben! Ich glaube Ihnen nicht, dass Ihnen die Vorgänge erst 1986 bekannt wurden. Auch glaube ich dem heutigen Provinzial nicht, von all dem gar nichts mitbekommen zu haben. Sie lebten zusammen im Konvent im Internat, es kann nicht sein, dass es mindestens 5 Jahre nicht ein Gerücht gegeben hat!

Entschuldigen Sie alle sich bitte mit allen anderen Mittätern und Mitwissern öffentlich in einer Pressekonferenz und sagen Sie dort wahrheitsgemäß, wann die Dinge WIRKLICH aufgekommen sind, was genau passiert ist und wer alles davon wusste. Wenn Sie wirklich helfen wollen, gehen SIE bitte mit der Wahrheit in die Offensive. Setzen SIE den Spekulationen ein Ende. SIE WISSEN es und halten es weiter entschlossen zurück, verstecken sich in Klöstern! Beenden Sie die Spekulationen endlich mit der Wahrheit und machen Sie konkrete Hilfsangebote!

Die Namen der Täter werden trotz meiner diesbezüglich mehrfachen email – Anfrage beim Provinzial weiter zurückgehalten. Auch habe ich ihm per email konkrete Vorschläge gemacht, wie man meiner Meinung nach offensiv im Sinne der Betroffenen vorgehen könnte. Auf Nachfrage (von alleine kam nie etwas zurück) erhielt ich knappe und zuletzt auch sehr unbefriedigende Antworten, ich habe den Kontakt deshalb mittlerweile beendet.

Offensiver Umgang bzw. Aufklärung sehen komplett anders aus, meine Herren! Ich appelliere an genau die Christlichkeit, die Sie so gerne predigen, sicherlich auch leben. Ich bezweifle das im Prinzip nicht, auch wenn ich sie persönlich von Ihnen nur eingeschränkt erfahren habe. Gehen Sie in die Offensive, informieren Sie die Öffentlichkeit von sich aus. Schreiben Sie die betroffenen Jahrgänge an, zeigen Sie aktiv Aufklärungsinteresse!

Derzeit laufen die Dinge genau andersherum, Betroffene sollen sich melden, die Telefonnummer muss dazu noch trickreich erfragt werden, die diesbezügliche Pressemeldung ist längst vergessen. Danach soll dann das „Ermittlungsergebnis“ aufgrund der Meldungen der Betroffenen zusammengeschustert werden. Wenn sich nur ein paar melden, war da eben nicht viel, es war dann auch nicht schlimm, so wird dann vermutlich das genehme Ergebnis sein. Auch die saarländischen Medien halten sich auffallend zurück.

Der Vorhang des Schweigens senkt sich offenbar einmal mehr…

Die Täter und Mitwisser sind nun am Zug, geben Sie sich einen Ruck und erklären SIE die Dinge wahrheitsgemäß, bereuen Sie alle und entschuldigen Sie sich persönlich, dass es alle sehen können! Dann wäre es für die Betroffenen vielleicht möglich, ein Stück zu verzeihen!

Und zum Schluss: Wie gedenken Sie, den Betroffenen zu helfen? Auch diese Frage liegt bereits seit einiger Zeit beim Provinzial vor und ist bis heute unbeantwortet!

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Dr. Bernhard Raffel, Arzt

Schreiben an den Johanneumskreis vom 15.11.2010. Der Bericht ging am 21.2.2011 an

den Ombudsmann Herrn Weidhaas und an Herrn Feltes, den ordenseigenen Ermittler.
Eine eidesstattliche Versicherung kann vorgelegt werden.

An die Betroffenenvertretung Johanneumskreis

(…)

Meine Schilderung entspricht fast wortgleich einer ersten, unter Initialen am 3. März 2010
veröffentlichten Schilderung als Online – Kommentar unter www.saarbrücker-zeitung.de zu
dem von Redakteur Peter Neuheisel am 2. März 2010 verfassten Artikel “Katholikenrat
verurteilt Missbrauch im früheren Internat“.

Ich selbst war von 1974 bis 1979 selbst Internatsschüler am Johanneum,
danach noch bis 1980 als Externer am Gymnasium und kann viele der in o.a.
Online-Kommentaren genannten Gerüchte oder auch tatsächlichen geschilderten
Sachverhalte nur bestätigen.

Ich war, bis zu meiner “Exmatrikulation” ca. 1,5 Jahre im damaligen Unter- und
die restliche Zeit im Oberhaus untergebracht.

Dort wurde auch ich einmal handgreifliches Opfer des Pater W., seinerzeit Präfekt des
Oberhauses, der mich an einem Samstagabend – und die “Fahne” rieche ich noch heute -
alkoholisiert belästigte. Zu dieser Zeit war das Verbleiben im Internat an jedem zweite
Wochenende nicht mehr verpflichtend und ich war alleine im 6-Mann-Zimmer. Ich wurde
wach, als Pater W. mir die mit einem Silberring mit mehreren erhabenen Kreuzen
geschmückte Hand auf die Brust legte und mir dann mit der anderen Hand an das Genital
fasste. Er berührte meinen Penis eine Zeit lang, massierte ihn solange bis ich eine
Erektion hatte und ließ dann von mir ab. Ich selbst musste keine Handlungen an Pater
W. vornehmen.

Gott sei Dank (!) war ich seinerzeit ein schwieriges Kind. Ich hatte in der
Internatsgemeinschaft keinen einfachen Stand; heute würde man vielleicht von Mobbing
reden – ich will dies explizit nicht. Ich war auch ein schlechter Sportler – zumindest war ich
kein Fußballspieler. Diesen beiden Umständen sei es gedankt, dass ich nicht zu den
“Lieblingen” des Pater W. zählte. Aber ich kann nur bestätigen, dass seine “Lieblinge” oft
Privataudienzen zum Fernsehen, auch zu späterer Stunde hatten. Was oftmals dort
geschehen ist, war seinerzeit zwischen uns Schülern ein stummes aber dennoch
bekanntes Geheimnis. Ich vermute von einigen meiner damaligen Mitschüler, dass sie
deutlich missbraucht wurden, kann aber natürlich an dieser Stelle nicht auf Näheres oder
gar Namen eingehen.

Wie gesagt, dies war die einzige direkte Belästigung die mir persönlich widerfahren bzw.
derzeit erinnerlich ist. Wohl kann ich aber die indirekten Belästigungen z.B. auch von Pater
H.R. bestätigen; er hat immer gerne die Jungs auf seinem Schoß gewiegt, ich glaube ich
habe sogar noch ein Foto von mir in besagter Situation davon. Und ich kann mich auch an
Schwimmbadbesuche in der Sexta erinnern, seinerzeit war das Schwimmbad noch in
regem Gebrauch, bei denen auch Pater H.O. mit im Becken war und uns Kinder im
Wasser in einer Art und Weise anfasste, die heute wohl für Lehrer o.ä. als unangemessen
zu bezeichnen wäre, die ich aber dennoch im Kontext, und nur soweit ich meine Erfahrung
hier reflektiere, als unkritisch ansehe. Und viele werden sich wohl auch noch an die,
vielleicht internatstypischen, Zeige- und Anfassspiele sowie fast homoerotischen Kontakte
in den Schlafräumen erinnern, zu denen manche Schüler im Gruppenzwang genötigt
wurden, und die den Präfekten bei ihrer “Herumschleicherei”, nachdem Bettruhe
angeordnet war, nicht verborgen geblieben sein kann.

Ich selbst, so glaube und hoffe ich, habe keine dauernden seelischen Probleme oder
Schäden davongetragen – aber andere! Und wenn ich heute die Schilderungen späterer
Schüler lese, dann schäme ich mich zutiefst, dass ich bis zum heutigen Tage, also über 30
Jahre, zu den Vorfällen geschwiegen habe. Vielleicht hätte ich Schlimmeres verhindern
können, wenn ich meine Erlebnisse an die Öffentlichkeit gebracht hätte. Ich bitte alle
Betroffenen dafür um Verzeihung. Aber ich war seinerzeit im Johanneum als “schwer
erziehbarer Rebell” angesehen. Hätte mir jemand geglaubt?

Meine Stellung wurde auch dadurch nicht besser, weil von meiner Familie keine Spenden
in die immer offene und fordernde Hand des Internatsleiters geflossen sind, die bei
anderen so manches “Fehlverhalten” entschuldigten. Ich habe geglaubt, dass ich schon
vor Jahren meinen inneren Frieden mit dem Johanneum geschlossen hätte, da ich alle
Erfahrungen der Internatszeit – sowohl schlechte wie auch viele gute – für mein Leben
umgesetzt habe.

Und ich habe auch tatsächlich christliche Patres und Brüder erlebt: gute Pädagogen und
wertvolle Menschen, an die ich mich auch heute gerne erinnere (Nebenbei: Pater M.R.,
der in den Osten versetzt wurde ist nach meinen Erkenntnissen nicht in Missbrauchsfälle
verstrickt. Ich hoffe, ich täusche mich nicht und er ist wirklich der außergewöhnlich
musische und in der Jugendarbeit tätige Pädagoge und Betreuer gewesen).

Als ich die Meldungen im Februar und dazu, die meines Erachtens scheinheiligen und
offensichtlich bewusst gelogenen Erklärungen von Pater O. und Pater G. gelesen hatte,
kam in mir aber wieder die gleiche Wut wie als junger Schüler hoch – die Wut über das
Verlogene, die Ungerechtigkeiten und das Gemauschele und Vertuschen am Johanneum.

Diese Wut hatte ich schon damals, und sie hat den 10- bis 15- Jährigen damals zum
Außenseiter und “schwer erziehbaren Rebell” gemacht. Heute ist dieser Rebell
verheiratet, hat zwei Töchter, hat einen akademischen Abschluss und ist Soldat. Mein
Leben ist in Ordnung.

Aber jetzt muss die verlogene Welt einiger Ordensbrüder des MSC aus den
Fugen geraten. Ich hoffe, ich kann dazu beitragen – auch um weiteren
Schaden von der Institution und Schule Johanneum, dem Orden und der Kirche
abzuwenden.

Soweit, und leider nicht so gut. Vielleicht ist Einiges noch im Dunkeln
meiner Erinnerungen und wird wieder präsent. Ich hatte Anfang März bei der Initiative “Wir
sind Kirche” angerufen und meine Unterstützung angeboten. Leider war nur ein
Anrufbeantworter zu erreichen. Man hatte mich zwar zurück gerufen, aber kein direktes
Interesse gezeigt. Bedingt durch einen anschließenden längeren Auslandsaufenthalt
konnte ich die mittlerweile zur Herzens- und Seelensache gewordene Angelegenheit nicht
weiter verfolgen.

Ich danke Ihnen und den anderen Betroffenen für Ihren Mut, Ihre Offenheit
und Ihre Bereitschaft zur Aufarbeitung der damaligen Vorgänge am Johanneum.

Ich wünsche Ihnen Kraft bei den Diskussionen mit den Mediatoren und
Verantwortlichen. Bitte lassen Sie es mich wissen, wenn Sie weitere Mitwirkung benötigen
oder ich Sie in irgendeiner sonstigen Weise unterstützen kann.

Mit herzlichen Grüßen

Dr. Bernhard Raffel

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Robert M., Lehrer

(Name geändert) Der Name ist der Redaktion bekannt.

Auszüge meines Schreibens an Herrn Weidhaas, den Ombudsmann des Bistums Speyer,
im April 2010. Der Name ist dem Bistum Speyer bekannt. Eine eidesstattliche
Versicherung kann vorgelegt werden.

Sehr geehrter Herr Weidhaas,

Ich wende mich an Sie, weil es mir unerträglich ist, dass gewisse Vorgänge, die am
Johanneum Homburg geschahen, bis jetzt nicht angemessen behandelt werden. Ich
schreibe dies in vollem Vertrauen (….). Und ich hoffe, dass die Kirche entsprechende
Reaktionen zeigt. Ich möchte mich Amelie Fried anschließen. Auch ich müsste zwei
Geschichten schreiben. Hier jedoch schreibe ich nur die eine Seite der Geschichte auf.

Ich war Schüler des Johanneums in den Jahren 1975-1985, davon in den Jahren 1981-
1983 für kurze Zeit im Internat, soweit ich mich erinnere. Internatsleiter war Pater.O. Ich
war zuerst für kurze Zeit im Bau der Mittelstufe, dann im Bau der Oberstufe. Zudem war
ich von Beginn an bis zum 20sten Lebensjahr Mitglied der Jugendgruppe KSJ. Einen Teil
meiner Erlebnisse in dieser Zeit schreibe ich hier auf, so wie ich sie in Erinnerung habe.

Ich komme aus gutbürgerlichen Verhältnissen, meine Eltern waren angesehene Leute in
Homburg. Ich wuchs sehr behütet auf und hatte eine tolle Kindheit, die von Liebe,
Vertrauen, Geborgenheit und einer katholischen Erziehung geprägt wurde. Ich war ein
fröhliches, aufgewecktes Kind, beliebt bei Freunden, den Nachbarn und auch den Eltern
von Schulfreunden. Ich weiß noch, dass sie meine Ehrlichkeit, Höflichkeit, Freundlichkeit
und mein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden meinen Eltern gegenüber lobten, worauf
sie und ich nicht wenig stolz waren. Aufgrund meiner guten Leistungen in der
Grundschule, durfte ich dann auf das Gymnasium Johanneum.

Pater R.

Ich war vielleicht 10 Jahre alt. Am Johanneum gab es ein Schwimmbad neben den zwei
Bauten der Unterstufe, die Herr Pater K. und Herr Pater W. leiteten. Pater K. war mein
Klassenlehrer, das Klassenzimmer in der 5ten Klasse war ebenfalls etwas entfernt vom
eigentlichen Schulgebäuden in den genannten Bauten untergebracht, das wurde später
geändert. Wir waren öfters bei den Hasen des Pater W., die er hielt. Natürlich hatten wir
auch Kontakt zu Pater W. Ich fand W. nett wie viele von uns.

Eines Tages sprach er mich an, ob ich nicht Lust hätte, ins Schwimmbad zu gehen, am
Abend, ich glaube immer donnerstags nach dem Silentium, gäbe es die Möglichkeit, mit
den Patres zusammen schwimmen zu gehen. Ich fand das toll und ging hin. Ich weiß
noch, dass außer mir und einem Schulfreund nur noch ein oder zwei Schüler anwesend
waren, und ich mich darüber wunderte, aber Pater W., Pater Kr., Pater P. und Pater R.
waren meiner Erinnerung nach im Wasser. Die Patres schwammen anfänglich ihre
Bahnen und dann um uns herum, wollten wohl irgendwie mit uns plantschen. Plötzlich
fühlte ich mich von hinten gepackt. Pater R. zog mich unter Wasser und drückte mich ganz
fest an mich, er rieb seinen Bauch richtig an mir und seinen Unterleib an meinem Hintern.

Ich weiß noch, ich schrie laut, etwa so etwas: „Hau ab, du widerliches Schwein“, als ich
wieder an die Oberfläche kam, schlug um mich und trat den Pater in den Bauch. Ich war
geschockt. Er ließ sofort von mir ab. Ich verließ fluchtartig das Schwimmbad. In der
Dusche kam er mir hinterher und sprach mit mir irgendwas, ich sei doch ein so netter
Junge usw. …. , aber ich wollte nur weg. Aber ich erinnere mich deutlich, dass er sagte, es
sei doch nichts gewesen, es sei nicht böse gemeint gewesen und ein Spaß und ich müsse
das ja auch niemandem erzählen.

Ich war ziemlich verstört deswegen, ich spürte, mit normalem Geplantsche hatte das
nichts zu tun. Ich habe das dann auch nur einem Mitschüler erzählt, der im Internat war.
Der meinte, man könne ja auch nicht ins Schwimmbad gehen mit den Patres, das wisse
man doch, deswegen würde ja niemand hingehen, weil einen die Patres nicht in Ruhe
ließen. Ich ging nie wieder ins Schwimmbad. R. hat mich nie wieder angefasst, es
herrschte seitdem eisige Stimmung zwischen uns, später in der Oberstufe wurde er mein
Klassenlehrer. Auch da blieb die Stimmung eisig.

Pater M.R.

Etwas später, ich mag 11 oder 12 Jahre gewesen sein, hatte ich Pater M.R. als
Musiklehrer. Ich verstand den Dreiklang nicht und verhaute eine Arbeit mit einer 6. Ich
weinte. Eines Tages begegnete er mir auf dem Schulhof und forderte mich auf, am
nächsten Nachmittag zu ihm aufs Zimmer zu kommen. Ich ging nicht hin, aber in der
Silentiumspause fingen mich ältere Mitschüler ab und sagten, ich müsse zu ihm. Also ging
ich zu ihm aufs Zimmer. M.R. war nett wie immer, ich mochte ihn und habe ihn ja auch
später als den geistlichen Leiter der KSJ sehr geschätzt und gemocht, wir waren dann
auch per du. Erst später rückte mir das Erlebnis wieder ins Gedächtnis, als mir vor ein
paar Jahren meine Mutter erzählte, M.R. sei wegen eines Verdachtes versetzt worden,
was ich erst gar nicht glauben wollte.

M.R. also wollte mit mir die Musikarbeit noch einmal schreiben und mir das erklären. Das
fand ich toll. Jedenfalls zog er sich plötzlich aus und stand nur in Unterhemd und
Unterhose im Zimmer. Weil es so heiß war, begründete er. Das leuchtete mir ein, es war
Hochsommer. Und dass so etwas normal sei, man könne sich ja auch umarmen, wenn
man sich gern hätte, das sei ja auch normal, ob das bei mir zuhause denn nicht so sei. Ich
wusste nicht, was er meinte. Jedenfalls setzte er sich dann auf den Stuhl vorm Pult, ich
sollte mich auf seinen Schoß setzen und er erklärte mir, mich eng an sich drückend und
seine Wange an meiner reibend, den Dreiklang. Ich machte alles richtig, die 6 wurde
zerrissen und ich ging stolz mit einer eins nach Hause. Aber M.R. sagte, das müsse unser
Geheimnis bleiben, Noten könne er nun mal nicht einfach so ändern, das hätte er jetzt nur
mir zuliebe gemacht. Ich fand den M.R. unglaublich toll, aber ich ging nie wieder zu ihm
aufs Zimmer als Kind, erst später als Jugendlicher wieder. Ich wusste, irgendwas stimmte
nicht, ohne es benennen zu können.

Aber ich habe meinen Eltern erzählt, dass ich bei ihm auf dem Zimmer war. Meine Mutter
war sofort hellhörig und fragte mich, was da passiert sei.

(Anm.: Meine Mutter ist heute bald 80 Jahre alt, aber daran hat sie sich sofort erinnert. Kürzlich sprach ich mit ihr. Sie erinnerte sich daran, wie ich ganz aufgeregt nach Hause kam, richtig “geglüht” habe ich, als ich ihr das erzählte und sie berichtete mir, ich habe gesagt, das sei vielleicht deshalb so, weil M.R. keine eigene Familie und keine eigenen Kinder habe)

Ich habe nur gesagt, dass ich die Arbeit nochmal schreiben durfte, den Rest ließ ich weg. Da war sie beruhigt, aber ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich hatte fast das Geheimnis verraten und das hätte M.R. vielleicht geschadet. Und das war das erste Mal, dass ich meine Mutter richtig anlog. Es war der Anfang.
Das Vertrauen bröckelte.

Pater W.

Mit Pater W. hatte ich glücklicherweise nicht viel zu tun, in den unteren Jahrgängen hieß er
„Hasi“ später bei uns „Rammler“. Ich weiß aber noch, dass uns gesagt wurde, als wir
schon im eigentlichen Schulgebäude waren, wir sollten nachmittags da nicht hingehen, er
hätte das nicht so gern. Um ihn rankten sich immer wieder zahlreiche Gerüchte, er würde
die Schüler befummeln, ich glaube er verschwand auch des Öfteren, zum Entzug
jedenfalls einmal für eine Weile, aber er kam wieder.

Am Internat Johanneum blieb so gut wie nichts verborgen, Gerüchte und Hinweise gab es
immer und reichlich und die waren allen Patres, auch Schulleiter Pater G. und Pater O.
ganz sicher bekannt. Auch die Geschichten des häufig betrunkenen Paters P., der
Verhältnisse zu Müttern oder Schülern gehabt haben soll. Das allerdings hörte ich damals
nur von Mitschülern, eigene Erinnerungen daran habe ich nicht.

Später, ich war schon im Internat und mittlerweile 16, wurde getratscht, Pater W. habe ein
Verhältnis mit einem Mitschüler. Den Namen weiß ich nicht mehr. Es war einer von 2
Zwillingen, die super Fußball spielten und ebenfalls im Internat waren. Eines Tages ging
es wie ein Lauffeuer rum: „Hasi ist mit ihm im Bett erwischt worden.“ Soweit ich weiß,
verschwand W. kurze Zeit darauf und wenn ich mich recht erinnere, verließen auch die
Zwillinge die Schule. Aber W. kam wieder.

Bruder T.

Ich war später im Alter von 14-19 Jugendleiter bei der KSJ. Pater M.R. war zu der Zeit
schon länger geistlicher Leiter der KSJ. Er hatte Pater R. in dieser Funktion abgelöst,
soweit ich weiß. R. war ja dann auch später sehr aktiv im Schulverein und als geistl. Leiter
der KSJ-Speyer auf Diözesanebene tätig. Bruder T. fiel auf, weil er distanzlos die Nähe zu
den Kindern, besonders Mädchen, suchte. Wir nannten ihn recht offen unter uns Bruder
Spitz und KF (offiziell hieß das Kinderfreund, unter uns hatte es eine andere Bedeutung).

Er versuchte die Mädchen zu umarmen, häufig anzufassen, bot ihnen Bonbons an, die sie
aus seiner Tasche holen sollten, wie sie erzählten. Er war immer mit in den Zeltlagern und
häufig auf dem Gelände der KSJ zu finden. Manche mochten ihn, andere fühlten sich
belästigt. Wir nahmen das nicht sonderlich Ernst, aber ich sagte zu meinen
Gruppenmitgliedern, die ja Kinder waren, sie sollten sich von ihm fern halten. Es wurde
auch mal in der Leiterrunde besprochen, ob wir ihn weiter ins Lager mitnehmen wollten.

Pater XXX

Mein Bericht darüber liegt dem Bistum vor. Die Presse hat berichtet. Ich kann nur sagen,
ich und wie mir heute weitere ehemalige Schüler bestätigen, auch andere, wussten schon
damals davon. Ich halte es für vollkommen ausgeschlossen, dass das innerhalb des
Ordens nicht ebenfalls bekannt war.

Das Internat und Pater O.

Ich war als 15-17jähriger im Internat. Ich kam hin, weil die Stimmung zuhause unerträglich
wurde. Meinen Eltern wurde seitens der Schulleitung vorgeworfen, bei der Erziehung
versagt zu haben. Das sollte sich im Internat bessern, zumindest glaubten das meine
Eltern. Zuerst wollte ich nicht ins Internat, aber ich gab nach.

Pater O. galt als Spanner. Ich möchte ihm keine Übergriffe unterstellen, aber es war
unangenehm. Es schien, als kenne er unsere Gewohnheiten genau, wann wir aufstanden,
duschten, ins Bett gingen. Dann stand er plötzlich im Zimmer, oft ohne anzuklopfen, bis ich
ihn mal anbrüllte und ihm die Tür vor der Nase zuschlug. Dann hörte es auf. Er blieb
einfach immer zu lange im Zimmer, wenn man in Unterhosen war oder schon im Bett lag.

Er griff bei mir nie unter die Decke, aber schon dieses “Hand auf die Schulter legen”
empfand ich als unangenehm und distanzlos. Ich zog die Decke hoch und klemmte sie mit
den Beinen fest. Oder ich stellte mich schlafend, damit er bloß schnell wieder geht. Und
das ging einigen Mitschülern so.

Pater O. bekam immer alles mit, er hörte teilweise unsere Telefongespräche von seinem
Apparat im Zimmer heimlich mit, zwischen dem Apparat, den wir benutzen durften und
seinem Telefon gab es anscheinend eine Verbindung. Zudem hatte er „Spitzel“, Mitschüler,
die ihm alles zutrugen, was geredet wurde und passierte. Ich hatte deswegen nicht nur ein
unangenehmes Gespräch mit ihm. Natürlich blieb ich in diesem Jahr in der elften Klasse
dann endgültig sitzen. Ich verließ das Interat wieder und wohnte dann wieder zuhause.

Ich habe exzessive Alkoholgelage der Schüler erlebt. Es war teilweise üblich, an
Geburtstagen und an der Weihnachtsfeier auch harte Alkoholika unter den Jugendlichen
untereinander zu verschenken. Jedoch wurde das irgendwann von der Internatsleitung
unterbunden. (…) Es gab Schüler, die von Mitschülern über längere Zeit extrem
schikaniert und gemobbt wurden.

Eines Tages kam ich in das Dreierzimmer, das ich zuerst bewohnte. Das ganze Zimmer
war voll Blut. Meine Mitbewohner hatten Whisky getrunken und dazu Tabletten (Valium)
geschluckt. Sie waren im Delirium offenbar in die Scherben der Flaschen getreten. Sie
kamen ins Krankenhaus, ihnen wurde der Magen ausgepumpt. Nach zwei Tagen waren
sie wieder da. Ich weiß auch noch, dass sich ein Mitschüler umgebracht haben soll zu der
Zeit. (…) Ob das den Tatsachen entspricht, weiß ich nicht. Ein weiterer
Zimmermitbewohner von mir starb angeblich nach einer nächtlichen Embolie.

Ein Fall ist mir jedoch deutlich in Erinnerung. Mein ehemaliger Zimmermitbewohner P.
schnüffelte regelmäßig Pattex und Fleckenwasser auf einem Taschentuch, teilweise recht
offensichtlich, uns Mitschülern war das bekannt. P. wurde eines Tages in seinem Bett
gefunden. Ein Rettungshubschrauber brachte ihn in die Klinik, dort lag er zwei Wochen auf
der Intensivstation. Dann starb er. Die offizielle Version wurde uns dann am nächsten
Morgen von O. und XXX nachdrücklich im Plenum ans Herz gelegt: Es war ein Unfall. Er
hatte aus Versehen ein Glas Fleckenentferner getrunken, das neben seinem Bett stand
oder etwas in der Art. Das hatte einen Atemstillstand zur Folge und Herzstillstand. (….)

Bei all diesen Begebenheiten habe ich nie mitbekommen, dass irgend jemand mal
nachgefragt hat.

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Annette Gaetcke, Erzieherin

Eine eidesstattliche Versicherung kann vorgelegt werden.

Auszüge aus meinem Bericht an den Orden der Herz-Jesu-Missionare am 03.03.2010
und aus den zusätzlichen Berichten an das Bistum Speyer am 06.04.2010 und am 01.10.2010

Ich habe das Gymnasium Johanneum als externe Schülerin besucht und mit dem Abitur 1990 abgeschlossen und war lange in einer der Jugendgruppe, der KSJ, aktiv.

Von Beruf bin ich Erzieherin für Heim und Sonderpädagogik.

Während meiner Arbeit habe ich unter anderem Missbrauchsopfer betreut und kenne das Ausmaß an seelischen Verletzungen, die Hilflosigkeit, die Langzeitschäden der Opfer, die perfide Vorgehensweise der Täter, den Machtmissbrauch, das Schweigen der Mitwisser.

Die Missbrauchsfälle, die es am Johanneum gegeben hat schockieren mich zutiefst.

Die Schulzeit, die ich bis auf wenige Ausnahmen als gut in Erinnerung habe muss für viele meiner Freunde und Klassenkameraden die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen sein.

Es ist mit bewusst, dass meine Ausführungen keine Untersuchungen mehr nach sich ziehen werden, da auf Grund der Verjährung kein Täter mehr strafrechtlich belangt werden kann. Aber da ich in der öffentlichen Darstellung des Pater G. die Anerkenntnis seines persönlichen Anteils zumindest an moralischer Schuld, den Anteil des Geschäftsführers Pater L. vermisse, ist es Zeit für mich Zeugnis abzulegen.

Es gab distanzloses Verhalten von Patres und Brüdern, es gab Übergriffe und wir als Kinder und Jugendliche konnten das Verhalten als unangenehm benennen, aber die dahinter stehende sexuelle Komponente war schwer zu fassen. Versuchten wir es wurden wir nicht ernst genommen.

Pater G. war selbst Lehrer, später Schulleiter des Johanneums und Ordensmitglied. Dass er keine Ahnung gehabt haben will, warum (wenn auch nur in Andeutungen, oder gerüchteweise) sein Mitbruder Pater W. aus dem Internatsdienst verabschiedet wurde, halte ich für unglaubwürdig.

Ich erinnere mich, dass in meiner Oberstufenzeit (ein genaues Datum kann ich leider nicht mehr nennen) in der Schülerzeitung „Ictus“ ein Artikel erscheinen sollte, der den distanzlosen Umgang von Patres gegenüber Schülern thematisierte. Es ging meiner Erinnerung nach um Umarmen und Anfassen, das die Schüler als unangenehm empfanden.

Thema war meiner Erinnerung nach auch das Verhalten von Bruder T., der Kinder, meist Mädchen aus den 5. Klassen dazu aufforderte Bonbons aus seinen Hosentaschen zu nehmen.

Mich hat er auch dazu aufgefordert, aber da ich das eklig fand habe ich das nicht gemacht. Ich habe nie mitbekommen, dass ein Mitbruder, oder Vorgesetzter Bruder T. auf dieses unangemessen Verhalten aufmerksam gemacht hat. Zudem war Bruder T. bei den Schülern als Spanner verschrieen, sein Spitzname, den ihm die Schüler gaben war „Peeping T.“. Ob er alleine dafür verantwortlich war, dass die Abklebefolien der Fenster in den Umkleidekabinen der Mädchen im Schwimmbad Richtung Internatsgebäude andauernd beschädigt waren und es Gucklöcher gab weiß ich nicht.

Pater G., dem als Schulleiter die Ausgabe der Schülerzeitung vor Veröffentlichung vorgelegt wurde, bestellte die Redaktion des Ictus in sein Büro. Ich war damals nicht Mitglied der Redaktion des Ictus, wurde aber von meinen Mitschülern, die große Angst vor dieser Konfrontation hatten darum gebeten mitzugehen, was ich auch getan habe.

Pater G. ließ zu diesem „Gespräch“ den Geschäftsführer des Ordens Pater L. anreisen. Pater L. drohte allen beteiligten Schülern mit Rauswurf von der Schule wegen übler Nachrede/Verleumdung sollten wir auf unseren Behauptungen beharren. Pater G. hat das Erscheinen dieses Artikels in der Schülerzeitung verboten.

Zu keinem Zeitpunkt signalisierten Pater G. und Pater L., dass man die Behauptungen Ernst nehme und überprüfen würde, es gab keine sachliche Befragung, oder der Versuch einer Aufklärung.

Nach dieser massiven Einschüchterungskampagne seitens der Schulleitung und des Ordens erschien der Artikel nicht in der Schülerzeitung und keiner von uns traute sich diese Thematik noch einmal anzusprechen.

Wäre damals Schulleiter Pater G.. den Sachinformationen nachgegangen, hätte er darauf stoßen können, dass mehrere seiner Mitbrüder unangemessen Körperkontakt zu Schülern und Schülerinnen suchten, bis hin zum Missbrauch.

Wäre damals eine offizielle Untersuchung ins Rollen gekommen, bei der Opfer tatsächlich das Gefühl gehabt hätten, gehört zu werden, dann hätten Täter bestraft werden können und noch viel wichtiger, kein Schüler wäre mehr missbraucht und belästigt worden.

Das ist meine persönliche Einschätzung, die als Hypothese abgetan werden kann, aber ich bleibe dabei, dass massiv Anzeichen unterdrückt wurden, die ein genaues Hinsehen und kompromissloses Handeln der Internatsleitung und der Schulleitung erforderlich gemacht hätten.

Die Sorge galt nicht primär den Schülern, sondern dem Ruf der Schule.

Das Klima, in dem Missbrauch gedeiht, nämlich die Duldung von Grauzonen, die Duldung von Distanzlosigkeit wurde am Johanneum gepflegt, keiner wollte genau hinsehen. Es gab viele Gerüchte, aber nie offizielle Stellungnahmen. Zu diesem Klima gehörte der massive Alkoholkonsum der Patres und auch dadurch ausgelöstes enthemmtes Verhalten. Dazu gehörte, dass man Schüler, oder Schülerinnen zu sich ins Privatzimmer holte, auch alleine.

Pater W., den ich als Lehrer in der Unterstufe hatte kam oft mit Alkoholfahne, oder extrem zitternden Händen zum Unterricht. Als Kind konnte ich das nicht einordnen, jeder Erwachsene, Mitbruder und Vorgesetzte hätte sehen müssen, dass er Alkoholiker ist und ihn sehr genau im Auge haben müssen. Uns war nie wohl in seiner Nähe.

Dass Patres von einem auf den anderen Tag ohne Angabe von Gründen versetzt wurden, war Gang und Gäbe.

Das Verhalten vieler Patres war über Jahre in mehr als einem Punkt durch Verhalten geprägt, dass in jeder anderen Einrichtung, in der ich hospitiert, oder gearbeitet habe harte Maßnahmen zur Folge gehabt hätte.

Zwar wurden Patres versetzt, aber den Schülern wurde das nie als Strafe, oder disziplinarische Maßnahme für konkretes Fehlverhalten benannt.

Bei problematischem Vorfällen und unangenehmen Sachverhalten herrschte Schweigen im Johanneum.

Einfache Verhaltensregeln, wie Alkoholverbot, keine Besuche in den Privaträumen der Patres und die alte Regel unter Lehrern und Erziehern, dass man sich nicht alleine mit einem Schüler/Zögling zurückzieht, oder bei geöffneten Türen und in öffentlichen Räumen zu bleiben hat, hätten vielleicht keinen Missbrauch verhindert, aber doch ganz klare Signal gesetzt, die wir alle vermisst haben.

Nicht die Opfer, die Übergriffe und Missbrauch öffentlich machen schädigen das Ansehen unbescholtener Ordensleute, das tun alleine die Täter und ihre Mitwisser.

Seit den Berichterstattungen und den Geständnissen der Patres schlafe ich keine Nacht mehr ruhig. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich meine Mitschüler im Stich gelassen habe, weil ich mich von Pater G. und Pater L. habe einschüchtern lassen.

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Pater K. ist mir in unangenehmer Erinnerung. Er hat uns in der Mittelstufe gezwungen gewalttätige Filme mit Folter und Vergewaltigungsszenen zu sehen, wie die Blechtrommel und den Marathonman (da wird jemand auf dem Zahnarztstuhl mit den Bohrern gefoltert).

Meiner Klassenkameradin, die diese Szenen nicht sehen und den Raum verlassen wollte hat Pater K. untersagt die Klasse zu verlassen und danach hatte sie im Unterricht bei ihm nichts mehr zu lachen.

Pater K. hat sich nicht die Filme mit uns angesehen, sondern sich so gestellt, dass er unsere Gesichter bei den Folter und Vergewaltigungsszenen genau beobachten konnte. Die Filme standen in keinerlei Beziehung zum Unterrichtsstoff und waren auch keine Filme, die von den Schülern mitgebracht wurden. Keiner geht gerne zum Zahnarzt, ich habe seitdem Panik vor jedem Zahnarzttermin.

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Was ich über Pater XXX zu sagen hatte, das ist dem Bistum bekannt.

Am Tag, als ich der Presseerklärung des Bischofs A. entnommen habe, dass Pfarrer
XXX rein aufgrund der strafrechtlichen Verjährung nicht belangt wurde und von
Bischof A. daraufhin zwar nach einem forensischen Gutachten, aber ohne eine
Sanktion, oder moralische Wertung der Kirche als Pfarrer wieder zum Dienst in die
Seelsorge und Jugendarbeit zugelassen wurde, bin ich aus der römisch
katholischen Kirche ausgetreten.

Dieser Schritt ist mir aus persönlichen Gründen nicht leicht gefallen.

Bis heute kann ich nicht erkennen, dass das Geschehen am Johanneum aufgearbeitet wäre, nur ein sehr kleiner Teil ist aufgedeckt, die Dunkelziffer ist sehr viel höher. Der Machtmissbrauch und die Vertuschung der Verantwortlichen des Ordens wird bis heute nicht klar benannt.

Der Bericht des Herrn Feltes, der als Ermittler vorgestellt wurde, enthält weder Hinweise auf meine Zeugenaussage, noch Aussagen von Tätern, noch Wissen, das der Orden zur Verfügung gestellt hätte. Pater G. hat mehr als einmal bereits in seiner Eigenschaft als Schulleiter Hinweise auf distanzloses Verhalten und Übergriffe erhalten, was er bis heute abstreitet.

Zu Präventionsmaßnahmen gegen Missbrauch in Kirche und Gesellschaft könnten die Betroffenen und Zeugen vieles beisteuern, nur scheint das keinen zu interessieren, denn diese Fragen werden in Fachgremien erörtert, zu denen die Betroffenen nicht eingeladen werden.

Solange die gleichen Verantwortlichen von damals das Sagen haben, werden die
gleichen Machtstrukturen praktiziert, die damals sexuelle Übergriffe und
Missbrauch erst möglich gemacht haben und heute eine Aufklärung und Aufarbeitung verhindern.

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Frank P., Selbständiger Unternehmer

(Name geändert) Der Name ist der Redaktion bekannt.

Auszüge meines Schreibens an Herrn Weidhaas, den Ombudsmann des Bistums Speyer im Februar 2011. Der Name ist dem Bistum Speyer bekannt. Eine eidesstattliche Versicherung kann vorgelegt werden.

Mein Leben am Johanneum in Homburg/Saar

Zunächst möchte ich mich vorstellen:

Mein Name ist Frank, ich bin verheiratet und Vater von zwei Kindern. Ich stamme aus
einfachen Verhältnissen.

Da ich in meinem Jahrgang in der Grundschule mit Abstand die besten Zensuren hatte, legten meine Lehrerin und der Rektor der Schule meinen Eltern nahe, mich unbedingt ein Gymnasium besuchen zu lassen.

Ein Nachbarsjunge von uns besuchte damals bereits seit ca. 5 Jahren das Johanneum und seine Eltern waren voll des Lobes über diese Schule.

Da meine Mutter besorgt war, dass sie mir bei den Schularbeiten nicht helfen könne, da sie selbst die schulischen Voraussetzungen dafür nicht hatte, gefiel ihr die Möglichkeit der Teilnahme am Silentium sehr gut.

Wir fuhren zum Johanneum, um uns die Schule anzuschauen.

Mir gefiel es dort sehr gut und ich sagte damals, dass ich gerne dort ins Internat möchte. Doch die Kosten dafür hätten meine Eltern nicht aufbringen können.

Pater O., der uns damals alles zeigte, sagte meiner Mutter, dass es so etwas wie einen „Sondertarif“ (ich lege mich jetzt nicht auf diesen Begriff fest, aber ich denke, die genaue Bezeichnung tut auch nichts zur Sache) gäbe, der es finanziell schwächer gestellten Familien ermöglicht, ihr Kind das Internat besuchen zu lassen. Dies sei dadurch möglich, dass einige Eltern einen den kostendeckenden Satz übersteigenden Beitrag zahlen würden.

So wurde meinen Eltern angeboten, nur ca. 75% des Regelbeitrags zu zahlen.

Mit Hilfe der finanziellen Unterstützung meiner Großmutter wurde mir damit der Besuch des Internats ermöglicht.

Ich wurde im Sommer 1976 im Johanneum eingeschult, was ich von 1976 bis 1980 als interner Schüler besuchte und von 1980 bis 1982 als externer Schüler.

Die ersten drei Jahre war ich im „Unterbau“ bei Pater P.K. Es war eine sehr schöne Zeit, die ich niemals in meinem Leben missen möchte.

Im vierten Jahr kam ich dann in den „Oberbau“ zu Pater W. Seltsamerweise kann ich mich noch sehr gut an meine Zimmergenossen im Unterbau erinnern, aber nicht mehr an die im Oberbau.

Ich war in einem 6-er Zimmer untergebracht, was aber nur mit insgesamt 4 Schülern

belegt war. Hier kam es öfter zu Übergriffen in der Form, dass ich nachts wach wurde, weil ich unter der Bettdecke begrapscht wurde. Pater W. saß neben meinem Bett und seine Hand manipulierte meinen Penis, die anderen Schüler waren mit im Zimmer, schliefen aber. Einmal war ich alleine im Zimmer, als Pater W. kam.

Die Türen standen gleich nach dem Zubettgehen offen, wurden aber später beim
Rundgang von W. geschlossen. Wenn er zu mir kam, war es schon Nacht und die Tür war
geschlossen, verursachte aber beim Öffnen auch keinen Lärm, so dass er von uns
Schlafenden unbemerkt das Zimmer betreten konnte. Ich bin immer erst davon wach
geworden, wenn Pater W. bereits meinem Penis manipulierte.

Es war dunkel. Ich erkannte Pater W. an seiner „Bierfahne“ und seinem Bart, den er mir an die Wange drückte. Gesagt hat er nichts zu mir. Ich glaube, er kam jeweils während einer Nacht einmal an mein Bett und seine Hand manipulierte meinen Penis. Wie häufig insgesamt, weiß ich nicht mehr, auch an den Wochenenden, die ich im Internat verbrachte.

Ich erinnere mich bruchstückhaft an ein Erlebnis bei Pater W.. Ich wurde morgens in
meinem Bett wach und trug keine Schlafanzughose mehr.

Meine Schlafanzughose fand ich später im Waschraum in einem Fußwaschbecken zum Einweichen. In dieser Nacht war ich im Büro von Pater W. gewesen. Ich habe mich dort über den Sessel erbrochen. Ob er mir in der Nacht Alkohol zu trinken gab, wie es des Öfteren vorgekommen war, weiß ich nicht mehr.

Zeitlich nicht mehr einordnen kann ich einen Vorfall mit Pater R.:

Ich war bei ihm im Zimmer, im Wohntrakt der Patres. Warum ich dort war, weiß ich nicht mehr, aber es war Nachmittag. Pater R. saß auf seinem Stuhl am Schreibtisch und ich sollte mich auf seinen Schoss setzen, was ich auch tat. Ich trug eine Jogginghose und er griff mir von hinten in die Hose, dann schob er mir seinen Finger in den Anus. Sein Finger fühlte sich klitschig an. Ich weiß aber nicht, ob das evtl. von Creme kam, die er benutzte. Ich weiß nur noch, dass ich anschließend völlig verstört das Zimmer verließ und fortan jeglichen Kontakt zu ihm vermied. Er tat so, als sei nie etwas geschehen.

Nach diesem Schuljahr verließ ich das Internat und wurde externer Schüler. Meine Eltern habe ich vor vollendete Tatsachen gestellt und ihnen gesagt, dass ich nicht mehr ins Internat will und es mir mehr bringt, wenn ich externer Schüler werde. Pater W. hat mich nicht danach gefragt, warum ich das Internat verlassen wollte, auch sonst kein Lehrer, oder Pater.

Mein Notendurchschnitt fiel im ersten Halbjahr von 2,4 auf 4,0. Mein Klassenlehrer hat mich nicht nach dem Grund für meine schlechte Noten gefragt.

Ich sträubte mich immer mehr, die Schule zu besuchen und schwänzte, wo ich konnte. Natürlich wurde ich nicht versetzt. Bei der Wiederholung der Klasse 9 fehlte ich nochhäufiger, als beim ersten Durchgang. Und so legten mir Pater S. und Pater G. nahe, die Schule freiwillig zu verlassen, um einem Schulausschluss zuvor zu kommen.

Ich verließ das Johanneum 1982, machte eine Ausbildung und heiratete.

Meine heutige Beziehung/Ehe funktioniert besser, als die Beziehungen vorher. Ich habe gemerkt, dass ich mich öffnen muss, um mit meiner Vergangenheit klar zu kommen.

Die reelle Chance, meinen Berufstraum zu erfüllen wurde mir am Johanneum genommen. Ich wollte Lehrer für Sport und Deutsch werden und hatte alle Voraussetzungen dafür mitgebracht. Meine Mutter sah mich bereits als Arzt und warf mir immer wieder vor, was für Entbehrungen sie für meine schulische Ausbildung auf sich genommen hat und ich nichts daraus gemacht hätte. Bis heute bin ich nicht dazu in der Lage, mit meinen Eltern über den mehrfachen Missbrauch im Internat zu sprechen.

1983 habe ich einen Suizidversuch gemacht. Es gab objektiv keinen erkennbaren Anlass, als ich am Geburtstag meines Vaters eine Überdosis Tabletten genommen habe. Im Krankenhaus wurde ich zwar psychologisch untersucht und befragt, aber niemand, selbst ich nicht, konnte eine Ursache erkennen oder benennen.

Mittlerweile ist mir bewusst, dass der damalige Missbrauch ein, bzw. DER Grund dafür ist, dass vieles in meinem Leben anders gelaufen ist, als es hätte laufen können.

Ich befinde mich gerade in einem Prozess der Aufarbeitung und befürchte, dass mir noch mehr Einzelheiten von damals ins Bewusstsein zurückkommen werden.

Bis heute habe ich ein gestörtes Verhältnis zu Vorgesetzten und bin daher lieber als
selbständiger Unternehmer tätig.

Bis heute rieche ich immer noch Pater W.s Alkoholfahne und spüre seinen Bart an meiner Wange.

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Ein weiterer Betroffener

Ein weiterer Betroffener ging Anfang des Jahres 2010 mit seinen Erlebnissen an die Öffentlichkeit. Dieser Artikel war einer der Auslöser für die beginnende Aufdeckung des Missbrauchsskandals am Gymnasium/Internat Johanneum.

http://www.saarbruecker-zeitung.de

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Dirk Gauberich

(Name geändert) Der Name ist der Redaktion bekannt. Eine eidesstattliche Versicherung kann vorgelegt werden.

2007. Die Aufgabe, für meinen Arbeitgeber eine internationale Veranstaltung zu planen und zu koordinieren, habe ich erfolgreich erledigt. Es war eine von vielen beruflichen Herausforderungen, die ich seit Jahren professionell erfülle. Gemeinsam mit einem hochmotivierten Mitarbeiterstab, der für mich auch zu einem Stück Familie geworden ist. Nun sitze ich am Veranstaltungsort in einer Lounge regungslos in einem bequemen Sessel. Der kalte Schweiß auf meiner Stirn, das Zittern des Körpers und ein rasendes Herz beunruhigen mich sehr. Ich bin nicht in der Lage einen Satz zu formulieren. Blanke Angst ist über mich gekommen. Ich frage mich: Ist das ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall? Mit 45 Jahren?

Der herbeigeeilte Mitarbeiter, dessen tiefe Freundschaft ich in den letzten Jahren erleben durfte, bringt mich sofort aus dieser Umgebung zum Arzt. Dieser kann jedoch nichts feststellen. Ich bin ratlos. Was ist los mit mir? Burnout? So ein Quatsch! Der Freund rät, einen Facharzt zu konsultieren. Ein paar Tage später treffe ich den „Psycho-Doktor“. „Ihre Seele ist krank, etwas aus Ihrer Vergangenheit ist wieder zurück“, lautet die knappe Analyse des Facharztes.

Es folgt eine erste intensive Behandlungsstrecke von 4 Wochen. Die bislang viele Jahre erfolgreich verdrängte Kindheit mit all ihren Blessuren, das schlimme Elternhaus, die Internatszeit im Johanneum Homburg; und: der Missbrauch an meinem kindlichen Körper durch einen Pater, der eigentlich Latein unterrichten sollte. Er hat meine Situation ausgenutzt: Das zierliche Kind, im Elternhaus ungewollt und erniedrigt, hat es auf der Stirn stehen: „Ich bin ein durchschnittlicher Niemand aus einem empathielosen Elternhaus, aber mit einem ansehnlichen Körper und ich werde den Rest meines Lebens wie irgendein Trottel verbringen und niemand wird das Vergehen an mir sühnen wollen!“

Üblicherweise durften die Internatsschüler in den 70er Jahren nur alle 14 Tage nach Hause und dies jeweils an einem Samstag nach der Schule. Am Freitagabend wurden von den Schülern die Koffer und Taschen aus dem „Kofferraum“ in der Schlafetage des jeweiligen Internatsgebäudes, in meinem Fall dem so genannten „Unterbau“, gewuchtet. Erwartungsfroh auf das kommende Wochenende ausblickend waren die Aufgeregtheiten bei allen Schülern immer sehr groß. Ich freute mich auf meine Großmutter, die belesene Rheinländerin und Mutter meines stets jähzornigen, alkoholsüchtigen Vaters. Sie war für mich ein kleiner Ankerplatz in dieser schlimmen Familie, in der sich nichts um das Kind drehte, dafür aber immer um das, was nach außen hin schön scheinen musste. Meine Großmutter versuchte, mit bescheidenen Kräften mir so etwas wie Nestwärme zu geben.

Der „äußere Schein“, der gewahrt werden musste, brachte mich also in dieses Internat und Gymnasium Johanneum und ich hatte daheim nicht zu murren, sondern stets dankbar zu sein für diese Großzügigkeit meiner Eltern! Meine Vorfreude auf die Großmutter wurde an jenem Samstag jäh zunichte gemacht: Alle Schüler wurden abgeholt, ich blieb jedoch allein im Internat zurück. Meine Eltern waren telefonisch nicht erreichbar. Später sagte man mir, dass man sich wohl im Datum geirrt habe.

Der Präfekt (Erzieher) des „Unterbaus“, ein stets gut gelaunter Pater mit saarländischen Wurzeln, hatte sich intensiv bemüht und ein abschließendes Telefonat mit den Nachbarn ergab, dass meine Eltern nicht zu Hause waren.
So blieb ich im Internat. Jener Pater organisierte dann meine „Ernährung“ für das Wochenende. Ich durfte nun Samstag und Sonntag ausnahmsweise gemeinsam mit den Patres und Brüdern des Internates im so genannten „Patres-Erholungssaal“ essen. Still nahm ich das von Nonnen den Patres servierte Essen zu mir. Die Blicke der frommen Schwestern sind mir immer noch in Erinnerung, ebenso die aufgesetzte Freundlichkeit der anwesenden Patres.

Nach dem Mittagessen am Samstag eröffnete mir der alte Verwalter, dass ich ihn zur Vorabendmesse zu einer in der Pfalz gelegenen Pfarrei zu begleiten hätte. Meine Aufgabe bestand dann darin, ihm als Messdiener zur Verfügung zu stehen. Auch für den Sonntagvormittag kündigte er mir zwei weitere Termine an. Zum Mittagessen am Sonntag waren wir dann wieder pünktlich im Internat.

Großzügig erlaubte man mir dann nach dem sonntäglichen Mittagessen das Schwimmen im Hallenbad des Internates, da ich ja schon das Fahrten- und Jugendschwimmerabzeichen erfolgreich abgelegt hatte. Da ich bis dahin immer sehr gerne Schwimmen gegangen bin, nahm ich das Angebot mit Freude an. Allerdings durfte ich erst nach einer Stunde Wartezeit ins Schwimmbad, damit das sonntägliche Mittagessen auch wirklich verdaut sei.

Das Hallenbad des Johanneums befand sich zwischen zwei Internatsgebäuden und wurde auch zur Kostendeckung an auswärtige Institutionen und Vereine im Umkreis vermietet. So traf ich im Schwimmbad auf eine Gruppe kriegsversehrter Männer, die Wasserball spielten und mit ihrem Spiel fast zu Ende waren. Schließlich suchten sie auch bald die Umkleidekabinen auf.

Ich probte „Wasserbomben“ als mein Latein- und Klassenlehrer Pater G. Kr. das Bad betrat. Er hatte beim Mittagessen mitbekommen, dass ich zum Schwimmen durfte. Als er im Wasser war, forderte er mich auf, ihm einmal die geprobten „Wasserbomben“ vorzuführen. Nach ein paar Minuten näherte er sich schwimmend an und nahm mich in den Arm. Er wollte mit mir „tauchen“ und presste meinen Körper ganz dicht an sich, zog mich unter Wasser, immer sehr kurz und presste mich immer enger. Seine Hand berührte meinen Po und drückte diesen mit seiner Hand fest an sich, so dass mein Unterleib sein stark erigiertes Glied spürte. Ich strampelte mich schließlich frei und schwamm zum Beckenrand.

Auf dem Weg zu den Duschen hatte er mich wieder eingeholt und legte seine Hand auf meine Schulter um mich festzuhalten. Ich erinnere seine stark ausgebeulte hellblaue Badehose. Seine Hand zog schließlich auch meine Badehose herunter und ich spürte dieses Mal sein steifes Glied direkt auf meiner Pobacke. Sein Finger bewegte sich schnell in meinen Anus und ebenso schnell folgte mit einem Stöhnen sein hartes Glied. Ich wehrte mich nach Kräften. Er wiederholte sein Eindringen und masturbierte und schließlich spürte ich etwas Klebriges an mir. Sein Ejakulat an meinem Po wischte ich mit meiner Hand weg und lief zur Umkleide um schnellstmöglich meine Anziehsachen an mich zu nehmen und rasch diese Räume zu verlassen.

Ich erreichte weinend den „Unterbau“, die Schlafetage, fast atemlos und konnte mich in der am Ende des Flures liegenden Toilette einsperren. Hier lauschte ich ohne ein Zeitgefühl, ob er mir denn folgen würde. Er tat es nicht. Irgendwann schlich ich in mein Zimmer und legte mich ins Bett. Ich bemerkte den Schmerz an meinem Po und weinte. Stunden später flog die Tür auf und die ersten Wochenendrückkehrer kamen in Begleitung ihrer Eltern ins Zimmer.

Es vergingen mehrere Wochen. An einem Samstag, an dem ein Internatswochenende anstand, schickte mich mein Lateinlehrer Pater G. Kr. mit Arbeitsheften unserer Klasse auf sein Zimmer im Internat. Dieses Zimmer befand sich an der so genannten „Schwesternklausur“, dem abgeschlossenen Wohnraum der Nonnen, in der ersten Etage des Gebäudes, welches an die Internatsspeisesäle angebaut war. Dort hatte er sein Zimmer. Die Tür war verschlossen und ich stand mit den Heften meiner Mitschüler vor der Tür. Ich wollte die Hefte bereits vor die Tür legen, als er plötzlich vor mir stand, die Tür öffnete und mich in sein Zimmer schob.

Dieses Mal musste ich sein bereits steifes Glied ansehen, ich weigerte mich heftig es anzufassen und schnell zog er mir meine Hose und Unterhose herunter und begann mich zu penetrieren; erst mit dem Finger, dann spürte ich wieder dieses steife Glied, was rasch ejakulierte. Schließlich ließ er von mir ab und ich konnte davonlaufen. Ich rannte, so schnell ich konnte, bis zum Schulsportplatz.

Am selben Wochenende wurde ich krank, bekam hohes Fieber und wurde auf das Krankenzimmer des Internates im so genannten „Tertianerbau“ verlegt. Ich war voller Angst, verunsichert, einsam, hilflos und ohne Orientierung. Im Krankenzimmer des Internates war ich fortan häufig, da sich der beschriebene Vorgang der Penetration und Ejakulation auf meinen Körper noch mehrmals wiederholte: Stets kurz und nach meinem Empfinden heftig und ohne Worte, nur mit einem fast lautlosen Stöhnen. Danach flüchtete ich mich jeweils in die Krankheit, ohne dass irgendjemand Notiz davon nahm, was mit dem zierlichen Kind passiert ist.

Instinktiv begann ich fortan zu essen, ja zu fressen, und wurde in den folgenden Wochen und Monaten schnell zu einem „Klöschen“. Das Taschengeld legte ich in Chips, Flips, Wurstbrötchen und Pommes mit Ketschup im Homburger Kaufhaus Hägin an. Taschengeld zu erbetteln, erlernte ich schnell. Man gab es mir ohne große Nachfragen.

Über das dicke Klöschen haben sich dann immer alle amüsiert. Niemand hat diesen dicken Clown ernst genommen, ja überhaupt die Veränderung vom zierlichen Jungen zum „dicken Bub“ wahrgenommen und für Pater G. Kr. war ich ab diesem Zeitpunkt sehr schnell uninteressant. So behielt ich diese „selbsterwählte Verkleidung“, denn sie schützte mich.

Nie hat Pater G. Kr. auch nur ein Wort mit mir über das Geschehene gewechselt, denn er wusste was auf meiner Stirn unsichtbar stand: „Ich bin ein durchschnittlicher Niemand aus einem empathielosen Elternhaus, aber mit einem ansehnlichen Körper und ich werde den Rest meines Lebens wie irgendein Trottel verbringen und niemand wird das Vergehen an mir sühnen wollen!“

Diese schlimme Zeit hat mich 2007, nach über drei Jahrzehnten, wieder eingeholt. Und erst nach Jahren der sehr, sehr guten ärztlichen Behandlung wurde das Vergangene für mich wieder sichtbar gemacht. Ohne diesen ärztlichen Beistand wäre eine „lindernde Verarbeitung“ nicht möglich gewesen. Geheilt kann man jetzt nicht sein. NIE! Das Geschehene ist geschehen und die Seele ist beschädigt.

Ich wollte und konnte mit einer stetig gewachsenen, eisernen Disziplin beruflich und familiär meinen Weg gehen, weil ich über viele Jahre später stets Mitmenschen erleben durfte, die mir Kraft und Halt, Selbstwertgefühl und Sicherheit, Vertrauen und Geborgenheit gegeben haben und immer noch geben, Tag für Tag: TENEO QUIA TENEOR – ICH HALTE STAND, WEIL ICH GEHALTEN WERDE!

Dieser Bericht ist ein Zeugnis gegen das Vergessen!
Möge er all jenen, die Ähnliches erlebt haben, Mut geben, sich ebenfalls mit ihrer dunklen Vergangenheit auseinanderzusetzen und ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten.

Dirk Gauberich
(Der Name wurde von der Redaktion geändert.)